UNANFECHTBAR?

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz im Faktencheck

Vahrenholt, Fritz & Lüning, Sebastian

Erscheinungstermin: 15.07.2021
128 Seiten
Taschenbuch
ISBN: 978-3784436180

Im März 2021 hat das Bundesverfassungsgericht das Klimaschutzgesetz für verfassungswidrig erklärt und der Politik aufgetragen, die CO2-Reduktion über 2030 hinaus bis 2050 bereits jetzt zu regeln. Die Konsequenzen werden zu einem Klima-Lockdown führen und das soziale Gefüge Deutschlands auseinanderreißen. Das Gericht ignoriert dabei den mit hohen Unsicherheiten behafteten wissenschaftlichen Diskussionsstand und erweckt fälschlicherweise den Eindruck einer alternativlosen Gefahrenlage. Dieses Buch will zu einer faktenorientierten Diskussion des Urteils beitragen und prüft die Argumentation auf fachliche Richtigkeit, Vollständigkeit und Plausibilität. Die Autoren belegen mit einer Fülle von Quellenverweisen eindrucksvoll, auf welchen fehlerhaften Annahmen dieser folgenschwere Beschluss beruht.

Lesen Sie im Folgenden einen Auszug aus dem Vorwort des Buches: UNANFECHTBAR? Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz im Faktencheck

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Vorwort

Auszug S. 7 – 12

Es ist schon sehr ungewöhnlich, dass über eine so hoch komplexe Klage mit weitreichenden Auswirkungen auf die durch die Verfassung garantierten Grundrechte, aber auch mit dramatischen Auswirkungen auf Wohlstand, Arbeitsplätze, Wirtschaftskraft und soziale Sicherungssysteme, innerhalb eines Jahres entschieden wird. Dass der Beschluss im Vorwahlkampf des Wahljahrs 2021 verkündet wurde, passt zu den Aussagen des Gerichts in Randnummer (im Folgenden abgekürzt als Rn.) 254, wonach der Beschluss dazu dienen soll, dass »Reduktionsmaßgaben so differenziert festgelegt« werden, denn erst dies erzeuge »den erforderlichen Planungsdruck, weil nur so erkennbar wird, dass und welche Produkte und Verhaltensweisen im weitesten Sinne schon bald erheblich umzugestalten sind.«

Das Gericht hat nur drei Stellungnahmen erhalten, jeweils eine des Deutschen Bundestages, der Bundesregierung und der Bundestagsfraktion der Grünen. Die Beklagten Deutscher Bundestag und Bundesregierung widersprechen den Klägern in der Sache nicht: Das Gericht zitiert etwa die Stellungnahme des Bundestages, es »sei von einer gegenwärtigen Grundrechtsbeeinträchtigung durch den Klimawandel auszugehen« (Rn 48). Wenn Kläger und Beklagter ähnliche Positionen vertreten, ist ein einseitiges Ergebnis vorhersehbar. Es wundert dann kaum, dass die Stellungnahme der Grünen, in der die »Festlegung konkreter Reduktionsziele für den gesamten Zeitraum bis zur Erreichung von Klimaneutralität im Jahr 2050« gefordert wird, im Beschluss des Gerichts widergespiegelt wird.

Weder Industrieverbände noch Arbeitnehmerorganisationen oder andere gesellschaftliche Gruppen, für die das Ergebnis des Beschlusses von existenzieller Bedeutung ist, wurden angehört. Und bei dem wissenschaftlichen Fundament bezieht sich das Gericht im Wesentlichen auf vier Quellen: zum einen auf den Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), zum anderen auf das Buch »Der Klimawandel« von Stefan Rahmstorf, dem Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam, und Hans Joachim Schellnhuber, dem langjährigen Direktor des 1992 von ihm mitgegründeten PIK, ferner auf den Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) und schließlich auf das Umweltbundesamt (UBA). Dabei ist das UBA als nachgeordnete Behörde der Bundesregierung schon fast wie eine Aktivistenorganisation einzustufen, wenn man sich den jüngsten Bericht der Behörde zu den »Risiken der Erderhitzung in Deutschland« anschaut, wonach es in Deutschland bis 2100 um 5 Grad heißer werden könne. Das UBA vergisst dabei aber mitzuteilen, dass dieses Szenario die völlig absurde Annahme der Verbrennung aller Kohle-, Öl- und Gasvorkommen der Welt bis 2100 voraussetzen würde.

Kritiker dieser extrem unwahrscheinlichen und unrealistischen Szenarien von UBA, PIK oder dem Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) wurden durch das Gericht nicht angehört. Die Berichterstatterin des Gerichts, Gabriele Britz, Professorin für Öffentliches Recht und Europarecht an der Justus-Liebig-Universität in Gießen und seit dem 2. Februar 2011 Richterin des Bundesverfassungsgerichts, hielt das offenbar nicht für erforderlich. Wenn so einseitig Quellen ausgewählt werden, darf man durchaus die Frage stellen, ob eine Befangenheit der Richterin vorlag, denn immerhin ist sie mit dem Vorstandssprecher der Grünen in Frankfurt am Main, Bastian Bergerhoff, verheiratet, den die Frankfurter Neue Presse den »heimliche(n) Herrscher der Grünen in Frankfurt« nennt. Zur Kandidatur als Spitzenkandidat der Frankfurter Grünen forderte Bergerhoff im Dezember 2020 auf seiner persönlichen Webseite.

»Dabei ist es wichtig, dass wir uns der Tatsache stellen, dass wir zur Erreichung der Pariser Klimaziele nur noch eine beschränkte Menge an CO2 ausstoßen dürfen. Das verbleibende sogenannte ›CO2-Budget‹ für Deutschland ab 2020 (das Jahr, das gerade vergangen ist) wird vom Sachverständigenrat für Umweltfragen auf rund 6,7 Milliarden Tonnen geschätzt. Das klingt viel. Allerdings betrug der Jahresausstoß in Deutschland in 2019 über 800 Millionen Tonnen. Im Klartext: In diesem Tempo ist unser gesamtes verbleibendes Budget in 8 Jahren und 4 Monaten aufgebraucht. … Es ist also allerhöchste Zeit, die Dinge grundlegend zu verändern« (Hervorhebungen durch Bastian Bergerhoff).

Das hier als Ausgangspunkt politischer Forderung proklamierte Restbudget von 6,7 Milliarden Tonnen CO2 ist auch der wesentliche Kern der Überlegungen des Verfassungsgerichts. Der Wunsch des Verfassers, »die Dinge grundlegend zu ändern«, wurde durch das Gericht konsequent umgesetzt. Um dahin zu kommen, musste das Gericht naturwissenschaftliche Fakten ignorieren und Folgendes neu erfinden:

»Der große Rest anthropogener CO2-Emissionen verbleibt aber langfristig in der Atmosphäre, summiert sich, trägt dort zur Erhöhung der CO2-Konzentration bei und entfaltet so Wirkung auf die Temperatur der Erde. Im Gegensatz zu anderen Treibhausgasen verlässt CO2 die Erdatmosphäre in einem für die Menschheit relevanten Zeitraum nicht mehr auf natürliche Weise. Jede weitere in die Erdatmosphäre gelangende und dieser nicht künstlich wieder entnommene (unten Rn. 33) CO2-Menge erhöht also bleibend die CO2-Konzentration und führt entsprechend zu einem weiteren Temperaturanstieg. Dieser Temperaturanstieg bleibt bestehen, auch wenn sich die Treibhausgaskonzentration nicht weiter erhöht« (Rn. 32).

Selbst der IPCC würde dem widersprechen, denn es werden zurzeit nur etwa 4,7 ppm (parts per million/Millionstel) jährlich durch anthropogene CO2-Emissionen der Atmosphäre hinzugefügt, aber etwas mehr als die Hälfte des Zuwachses wird durch Ozeane und Pflanzen aufgenommen. Das Gericht nimmt fälschlicherweise an, es wären »nur kleine Teile«, die aufgenommen würden. Da die Aufnahme von Pflanzen und Ozeanen proportional zur CO2-Konzen-tration in der Atmosphäre (und nicht proportional zur jährlichen Emission!) erfolgt, hätte eine deutliche Emissionsreduktion – wie etwa eine Halbierung – in der Zukunft sehr wohl eine Konzentrationsminderung in der Atmosphäre zur Folge, denn die durch Pflanzen und Ozeane aufgenommenen etwa 2,6 ppm bleiben vorerst unverändert, auch wenn die CO2-Emission auf 2,35 ppm sinkt.

Mit anderen Worten: Bei einer Halbierung der globalen Emissionen in zwanzig Jahren würde eine Konzentration von etwa 450 ppm wahrscheinlich niemals überschritten Und die Klimakatastrophe wäre abgesagt. Indem es aber die CO2-Senken ignoriert, hat das Gericht die Voraussetzung für den CO2-Budgetansatz geschaffen: »Daher lässt sich in Annäherung bestimmen, welche weitere Menge an CO2 noch höchstens dauerhaft in die Erdatmosphäre gelangen darf, damit diese angestrebte Erdtemperatur nicht überschritten wird … Diese Menge wird in der klimapolitischen und klimawissenschaftlichen Diskussion als ›CO2-Budget‹ bezeichnet« (Rn. 36).

Und nun fängt das Gericht an zu rechnen und folgt dem Gutachten des 6-köpfigen Sachverständigenrats SRU (stellv. Vorsitzende Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sowie Professorin an der Leuphana Universität Lüneburg). Der SRU hatte in seinem Gutachten von 2020 das Budget des IPCC von 2018 zur Einhaltung eines Ziels von 1,75 °C mit 800 Gigatonnen CO2 übernommen. Diese Größe teilt der SRU durch die anteilige Bevölkerung (warum nicht durch das Bruttosozialprodukt?) und kommt zu 6,7 Gigatonnen CO2, die Deutschland noch ausstoßen darf.

Dass die genannten 800 Gigatonnen selbst nach Ansicht des IPCC mit großer Unsicherheit versehen sind, erwähnt das Gericht, rechnet aber weiter mit den 6,7 Gigatonnen des SRU. Der Hamburger Klimaforscher Jochem Marotzke ging 2018 sogar von einer Erhöhung der zulässigen Emission an CO2 für das 1,5-Grad-Ziel auf 1000 Gigatonnen aus.7 Ursache hierfür war die Erkenntnis, dass die Pflanzen der grüner werdenden Erde unvorhergesehenerweise mehr CO2 aufnehmen können als bislang vermutet. Aber das Gericht folgt lieber den Rechnereien des Sachverständigenrats für Umweltfragen und begeht damit einen weiteren schweren Abwägungsfehler.

Selbst wenn man den höchst fragwürdigen Restbudgetansatz von 800 Gigatonnen für die Welt zur Grundlage macht (zum Vergleich: 6,7 Gigatonnen entsprechen der CO2-Emission eines halben Jahres der Volksrepublik China), darf doch nicht vergessen werden, dass Deutschland wichtige Güter für die Welt produziert, seien es Maschinen, Chemikalien, Arzneimittel, Flug- oder Kraftfahrzeuge. Produktionen, die mit CO2-Emissionen verbunden sind, aber hochnotwendig für alle Länder der Welt, insbesondere die Entwicklungsländer sind. Daher kann man doch redlicherweise nicht den gleichen Maßstab der Bevölkerungszahl für Deutschland wie für Entwicklungsländer wie etwa Tansania, Syrien oder Afghanistan nehmen.

Würde man nicht den Bevölkerungsanteil mit 0,84 Prozent, sondern den Anteil an der CO2-emittierenden Güterproduktion heranziehen, wäre das Budget mit 2 Prozent CO2-Anteil etwa 2,5-mal so groß und würde damit 16,75 Gigatonnen betragen (immerhin noch eineinhalb Jahre China-Emissionen). Oder würde man etwa das erwähnte Bruttosozialprodukt als Bezugspunkt wählen, dann wäre das Restbudget ca. 32 Gigatonnen groß und würde kaum noch in diesem Jahrhundert aufgebraucht. Das Gericht interessiert das aber nicht, und es kommt ohne weitere Begründung zum Ergebnis, dass nach 2030 nur noch ein »CO2-Restbudget von weniger als 1 Gigatonne übrigbleibt« (Rn. 233).

„Unanfechtbar? – Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz im Faktencheck“ von Fritz Vahrenholt und Sebastian Lüning